Stellungnahme des Fanprojekts Paderborn zu den Geschehnissen im Nachgang des Fußballspiels Eintracht Braunschweig – SC Paderborn 07
Die Polizeiinspektion Braunschweig hat am 08.10.2023 eine Pressemitteilung mit dem Titel “POL-BS: Auseinandersetzungen am Hauptbahnhof” veröffentlicht. (siehe: https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11554/5620716). Mit dieser Stellungnahme wollen wir die Sicht unserer Mitarbeitenden auf die Geschehnisse am 9. Spieltag schildern.
Am Sonntag, 8. Oktober 2023 fand das Fußballspiel des SC Paderborn 07 (SCP07) bei Eintracht Braunschweig in Braunschweig statt. Im Rahmen unseres Auftrags waren wir sowohl bei der Vorbereitung des Spieltags mit den professionellen Akteur*innen im Netzwerk Fußball eingebunden, als auch am Spieltag selber im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit mit und für Fußballfans vor Ort.
Im Vorfeld des Spieltags rief die aktive Fanszene aus Paderborn öffentlich alle Fans dazu auf, mit dem Zug zum Spiel anzureisen. Aus diesem Grund fuhr eine sehr diverse und heterogene Gruppe nach Braunschweig. Menschen jeglichen Alters und Geschlechts waren Teil der Reisegruppe. In den wie immer stattfindenden Sicherheitsgesprächen wurde das Spiel mit geringer Risikolage („grün“ nach der Risikobeurteilung des §32 der DFB-Sicherheitsrichtlinien) bewertet und die Fanlager als neutral eingeschätzt. Allein der Alkoholausschank im Gastbereich im Stadion wurde nicht genehmigt.
Zwei Mitarbeitende des Fanprojekts begleiteten die Fans, wie üblich, den gesamten Tag: Ab Paderborn bei der Anreise im Zug, während des Spiels im Stadion und auf der Rückreise im Zug bis nach Paderborn. Die Anreise zum Stadion sowie das Spiel selbst verliefen wie erwartet ruhig. Nach dem Spiel wurden die Paderborn Fans direkt aus dem Gastbereich mit Bussen zum Hauptbahnhof Braunschweig geshuttelt. Auch dies verlief ohne Vorkommnisse. Nach der Ankunft gingen die Fans in den Bahnhof.
Im Bahnhof waren Einsatzkräfte der Hundertschaft und der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) im Einsatz. Es ist uns leider nicht möglich, die Einheiten genau zu benennen. Auch ist uns im weiteren, hektischen Verlauf der Ereignisse nur selten bewusst gewesen, wann die Hundertschaft und wann die BFE agierte. Deshalb wird im Folgenden von Einsatzkräften zu lesen sein, es sei denn wir können es klar anders benennen.
Im Bahnhof angekommen, gingen schon einige Fans Richtung Zug und andere verpflegten sich an Ständen im Bahnhof. Sämtliche Maßnahmen zur Fantrennung, wie z.B. Zäune, die noch bei der Anreise vorhanden waren, waren nun zurückgebaut worden. Es gab keine räumliche Trennung. Auch die Einsatzkräfte in der Bahnhofshalle führten diese nicht aktiv herbei.
Aufgrund einer einzelnen Identitätsfeststellung verblieb ein Großteil der mitgereisten Fanszene aus Paderborn (ca. 50 Personen) in der Bahnhofshalle. Sie warteten gemeinsam auf ihr fehlendes Mitglied. Durch die fehlende Fantrennung waren auch Braunschweig Fans im Bahnhof anwesend. Dabei handelte es sich allerdings in unseren Augen um keine feste Gruppe oder gar Fanszene aus Braunschweig, sondern um einzelne oder kleine Gruppen von Fans. Diese hatten jedoch keine Auswirkungen auf die Gruppe aus Paderborn, die friedlich dort wartete. Mögliche Kontakte zu Braunschweiger Fans aus dem südwestlichen Bereich der Bahnhofshalle wurden durch Einsatzkräfte, vermutlich der Hundertschaft, die sich nah an den Paderborner Fans aufhielten, verhindert. Deshalb können wir nicht nachvollziehen, auf welches Aufeinandertreffen mit einer Gruppe Braunschweiger Fans die Polizei Braunschweig in ihrem Pressebericht Bezug nimmt.
Weiterhin schreibt die Polizei, dass die Fangruppen getrennt und die Paderborner Fans zu den Gleisen geleitet wurden. Als direkte Augenzeugen der Geschehnisse, möchten wir unsere Eindrücke diesbezüglich schildern.
Von den Einsatzkräften, welche sich nah an den Paderborner Fans aufhielten, ging plötzlich, ohne für uns ersichtlichen Grund, eine enorme Körperlichkeit aus. Sie drängten die Paderborner Fans Richtung Nordosten. Die Fans reagierten verärgert und drückten dies verbal aus. Viele rissen als Zeichen der Passivität aber auch beide Hände nach oben. In diese Situation rannte in voller Schutzmontur, von den Eingangstüren der Bahnhofshalle kommend, die BFE. Unter Gewalteinsatz und mit Hilfe von Schlagstöcken und Pfefferspray wurde die Gruppe Paderborner Fans in den Tunnel in Richtung der Gleise getrieben. Ein Fan blieb bewusstlos am Boden liegen und trug schwere körperliche Verletzungen davon. Viele weitere wurden vom Pfefferspray leicht verletzt. Einige Augenzeug*innen, darunter Jugendliche, standen unter Schock.
Des Weiteren schreibt die Polizei Braunschweig, dass es gelang die Situation zu beruhigen. Das aus unserer Sicht eskalierende Verhalten der Einsatzkräfte wurde auf dem Bahnsteig fortgesetzt, weshalb wir dem widersprechen möchten. Hier traf tatsächlich eine kleine Gruppe aggressiver Braunschweiger Fans auf die nun aufgebrachten Paderborner Fans. Auf dem Bahnsteig wurden die Braunschweiger von den Paderbornern getrennt. Hierbei setzten die Einsatzkräfte massiv Pfefferspray ein. Dieses Vorgehen wurde auch bei weiteren Zusammentreffen von Braunschweiger Fans und Polizei beibehalten, denen z.B. von einer direkt gegenüberstehendem Einsatzkraft Pfefferspray in die Augen gesprüht wurde.
Den Einsatz von Pfefferspray kritisieren wir insbesondere deshalb, weil sich auf dem Bahnsteig viele Menschen befanden, die nichts mit den Geschehnissen zu tun hatten. Neben friedlichen Fans beider Vereine auch viele Reisende, darunter Kleinkinder und alte Menschen. Viele hatten Atemwegsreizungen und husteten. Aufgrund unserer Beobachtungen und nachgehenden Gesprächen mit den Fans gehen wir von deutlich mehr Verletzten aus, als in der Pressemitteilung der Polizeiinspektion Braunschweig genannt.
Zu keinem Zeitpunkt nach unserem Eintreffen am Hauptbahnhof Braunschweig konnten wir einen Kommunikationsversuch der Einsatzkräfte von Hundertschaft und BFE feststellen. Weder mit uns noch mit Anderen, wie bspw. der aktiven Fanszene. Es gab keine Ansprachen vorab, kein Aufzeigen von Perspektiven nach den einzelnen Situationen und keine Gesprächsangebote im Nachgang. Nach unserem Dafürhalten wurde die gesamte Situation im Bahnhof und auf dem Bahnsteig durch die fehlende Kommunikation und reines physisches Agieren durch die Einsatzkräfte eskaliert. Sämtliche Eskalationsstufen und ihre Konsequenzen wären vermeidbar gewesen. Hiervon auszuschließen sind die uns bekannten szenekundigen Beamten, welche durchgehend sehr gut kommunizierten und sich um Deeskalation bemühten.
Wir fordern, dass der Polizeieinsatz am Hauptbahnhof Braunschweig kritisch aufgearbeitet wird! Die Szenen vom vergangenen Sonntag dürfen sich nicht wiederholen! Selbstverständlich stehen wir für einen Austausch und die Aufarbeitung jederzeit zur Verfügung.
Andere Fanprojekte aus NRW empfehlen den Fans auf Grundlage von Erfahrungswerten aus vergleichbaren Geschehnissen die zeitnahe Anfertigung von Gedächtnisprotokollen zur differenzierten Bewertung der Gemengelage.
Bei Fragen und Unterstützungsbedarf sind wir per Mail, Social Media und die Handynummern der Fanprojektmitarbeiter*innen erreichbar (Kontaktdaten unter Kontakt – Fanprojekt Paderborn (fanprojekt-paderborn.de)).
Paderborn, 11.10.2023
Das Team des Fanprojekts Paderborn
Unsere Stellungnahme als PDF: Stellungnahme Braunschweig